Aufwendungen für die Strafverteidigung können Werbungskosten sein

Aufwendungen für die Strafverteidigung können dann Werbungskosten sein, wenn der strafrechtliche Schuldvorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist (Änderung der Rechtsprechung).

Der Fall

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war als Giesserei-Ingenieur in einer chemischen Fabrik nichtselbständig tätig. Bei Pressversuchen im Betrieb unter Verwendung eines nach einem Rezept des Klägers hergestellten Zusatzes kam es zu einer Explosion. Dabei wurden mehrere Arbeiter getötet und weitere verletzt. Ausserdem entstand erheblicher Sachschaden.

Der Kläger wurde strafrechtlich zur Verantwortung gezogen; er wurde rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Strafverteidigungskosten hat der Kläger im Streitjahr 1975 Vorauszahlungen in Höhe von insgesamt 7.000 DM geleistet.

Die Erwägungen des Gerichts

Das FG hat die im Streitjahr 1975 geleisteten Vorauszahlungen auf die Strafverteidigungskosten zu Recht als abziehbare Werbungskosten angesehen.

Nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Der BFH (BFH) legt diese Vorschrift dahin aus, dass Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit alle durch den Beruf veranlassten Aufwendungen sind (vgl. hierzu insbesondere Beschluss des Grossen Senats des BFH vom 28. 11 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105). Eine berufliche Veranlassung ist bei Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit stets dann anzunehmen, wenn objektiv ein Zusammenhang mit dem Beruf besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Berufs, nämlich zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von Einnahmen dieser Einkunftsart, gemacht werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. 11 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368 und die dort erwähnte Rechtsprechung).

Die Aufwendungen des Klägers für seine Strafverteidigung waren im Streitfall durch seinen Beruf veranlasst. Sie standen in einem objektiven Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit, da sich das Betriebsunglück, für das der Kläger strafrechtlich verantwortlich gemacht worden ist, in Ausübung seiner dienstlichen Verrichtung als Giesserei-Ingenieur ereignete. Der Kläger wandte die Strafverteidigungskosten auch in der Absicht auf, sich hierdurch Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu erwerben, zu sichern oder zu erhalten. Wollte er sich nämlich seine Stellung als Giesserei-Ingenieur bei seiner bisherigen Arbeitgeberin erhalten oder sich – im Falle seiner dortigen Entlassung – in einem anderen Unternehmen erfolgreich um eine gleichwertige Anstellung bewerben, so musste er um Entlastung von dem Vorwurf bemüht sein, das Betriebsunglück verschuldet zu haben.

Auch von der herrschenden Meinung im Schrifttum wird die Abziehbarkeit von Strafverteidigungskosten – bei beruflicher oder betrieblicher Veranlassung – als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben bejaht (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19. Aufl., Anm. 49e, Abs.2 zu § 4 EStG, mit weiteren Hinweisen; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., Anm. 893 zu §§ 4, 5 EStG, sowie neuerdings: Tanzer, Die Abzugsfähigkeit von Geldstrafen und Geldbussen im Einkommensteuerrecht, bei Söhn, Die Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, S.227 ff., 258, 269; Felix/Streck, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1979, 479 ff., a.A. Bergmann, Betriebs-Berater – BB – 1981, 2001 ff.; ders., Finanz-Rundschau – FR – 1981, 292 ff.).

Die ‚Einheit der Rechtsordnung‘ rechtfertigt es nach Auffassung des erkennenden Senats nicht, Strafverteidigungskosten vom Werbungskostenabzug auszuschliessen. Selbst wenn es wegen dieses Grundsatzes geboten sein sollte, Geldstrafen wegen krimineller Vergehen nicht über das Steuerrecht mittelbar zu mildern, so hätte eine solche Auffassung jedenfalls keine Auswirkung auf die hier zu beurteilenden Strafverteidigungskosten. Denn sie haben keinen Strafcharakter; sie sollen den Steuerpflichtigen nicht unabdingbar treffen, und sie werden ihm auch nicht von einem staatlichen Organ auferlegt. Sie müssen bei einem Strafverfahren nicht einmal zwangsläufig entstehen; denn schliesslich braucht ein Angeklagter sich nicht stets durch einen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen. Deshalb kann nach Ansicht des Senats keine Rede davon sein, dass die Einheit der Rechtsordnung den Abzug solcher Aufwendungen als Werbungskosten verbietet.

Der erkennende Senat weicht mit dieser seiner Rechtsauffassung sowohl von dem Urteil des I. Senats vom 6. 11 1968 I R 12/66 (BFHE 94, 56, BStBl II 1969, 74) als auch von den Urteilen des Ivom Senats vom 18. 5 1972 IV R 122/68 (BFHE 105, 486, BStBl II 1972, 623) und vom 8. 4 1976 IV R 69/73 (nicht veröffentlicht) ab. Der I. Senat und der Ivom Senat haben jedoch auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der beabsichtigten Abweichung von ihren vorgenannten Entscheidungen zustimmen. Die Rechtsauffassung des Senats steht zwar auch in Widerspruch zu den Ausführungen des Grossen Senats in BFHE 124, 43, 50 ff., BStBl II 1978, 105, 109, weil der Grosse Senat dort unter Bezugnahme auf das Urteil in BFHE 105, 486, BStBl II 1972, 623 auf die Nichtabziehbarkeit von Geldstrafen und damit zusammenhängenden Prozesskosten hingewiesen hat. Der Senat braucht deshalb aber nicht nach § 11 Abs. 3 FGO den Grossen Senat des BFH anzurufen; denn es handelt sich bei den Ausführungen des Grossen Senats nicht um die Entscheidung tragende Gründe.