Von wesentlicher Bedeutung für die richtige Rechtsanwendung ist die Unterscheidung zwischen einfacher Fahrlässigkeit (weder Straftat noch Ordnungswidrigkeit) und Leichtfertigkeit (Ordnungswidrigkeit) sowie zwischen Leichtfertigkeit (Ordnungswidrigkeit) und bedingtem Vorsatz (Straftat).
Für die richtige Einordnung kommt es darauf an, neben dem objektiven Verstoß gegen Sorgfaltspflichten (gemessen an der für den durchschnittlichen Steuerpflichtigen vorhersehbaren Verwirklichung des Tatbestands) die individuelle Vorwerfbarkeit (d. h. die Bewertung des Verhaltens des Betroffenen unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles) nachzuweisen.
Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, auch umfangreiche Formulare und Erläuterungen gewissenhaft zu lesen. Er ist außerdem bei Unsicherheit verpflichtet, sich zu erkundigen. Der Einwand des Steuerpflichtigen, er habe von seiner Mitwirkungspflicht nicht gewusst oder den Umfang verkannt, entlastet ihn somit nicht von dem Vorwurf der Leichtfertigkeit. Von einer zumindest leichtfertigen Verletzung der Mitwirkungspflicht ist auszugehen, wenn dem Berechtigten ohne jede weitere Überlegung klar sein musste, dass eine mitzuteilende Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist. Je öfter der Steuerpflichtige auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen wird desto weniger Überlegungen sind nötig, um zu erkennen, dass eine mitteilungspflichtige Tatsache vorliegt.
Beispiel (für Leichtfertigkeit) bei Kindergeld
Das Kind hat die Ausbildung abgebrochen und unterrichtet den Berechtigten darüber. Der Berechtigte bittet das Kind, dies der Familienkasse innerhalb der nächsten Woche mitzuteilen, da er selbst im Moment zu beschäftigt sei. Ihm ist bekannt, dass das Kind in der Vergangenheit ängstlich gegenüber Unbekannten war. Er hofft, dass das Kind seine Situation versteht und „über seinen Schatten springt“. Anders als erhofft traut sich das Kind nicht bei der Familienkasse anzurufen und unterlässt die Anzeige. Erst nach drei Monaten offenbart sich das Kind dem Berechtigten. Der Berechtigte erfüllt den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Er ist seiner Mitteilungspflicht nach § 68 EStG nicht unverzüglich nachgekommen. Die Familienkasse wurde über die steuerlich erhebliche Tatsache „Ausbildungsabbruch“ in Unkenntnis gelassen. Er handelt leichtfertig, weil er aufgrund des bisherigen Verhaltens des Kindes nicht davon ausgehen durfte, dass das Kind seiner Aufforderung nachkommt. Der Berechtigte hätte zumindest im Nachhinein den Erfolg kontrollieren müssen.
Beispiel (für einfache Fahrlässigkeit) bei Kindergeld
Das Kind hat die Ausbildung abgebrochen und unterrichtet den Berechtigten darüber. Der Berechtigte bittet das Kind, dies der Familienkasse innerhalb der nächsten Woche mitzuteilen, da er selbst im Moment zu beschäftigt sei. Das Kind hat bisher alle Arbeitsaufträge zuverlässig erfüllt, weshalb er darauf vertraut, dass es auch diesmal so geschieht. Anders als erwartet vergisst das Kind bei der Familienkasse anzurufen und unterlässt die Anzeige. Erst nach drei Monaten offenbart sich das Kind dem Berechtigten. Der Berechtigte erfüllt den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Er ist seiner Mitteilungspflicht nach § 68 EStG nicht unverzüglich nachgekommen. Die Familienkasse wurde über die steuerlich erhebliche Tatsache „Ausbildungsabbruch“ in Unkenntnis gelassen. Er handelt fahrlässig, weil er zumindest im Nachhinein den Erfolg hätte kontrollieren müssen.